Die Funktionsjacken-Weicheier: Wann ist ein Mann ein Mann?! | STERN.de

2022-06-10 21:26:04 By : Mr. Terry T

Egal, ob Facebook oder Tinder: Überall trifft man auf einen ganz bestimmten Typ Mann. Verwuschelte Mähne, mit einem Surfbrett unterm Arm, beim Bouldern, Trekken, Kiten oder Rafting, vor dem eigenen Bulli. Gähn! Versteht mich nicht falsch, ich finde sportlich aktive Männer mit spannenden Hobbies toll. Fakt ist aber auch, dass es zum Teil ernüchternd sein kann, wenn man solche vermeintlichen "Draufgänger" mal in freier Wildbahn erlebt …

Neulich war ich zum Wandern in McLeod Ganj. Das indische Bergdorf ist ein beliebter Ausgangspunkt für Trekkingtouren ins Himalaya. Um von Delhi dorthin zu kommen, braucht es eine zwölfstündige Busfahrt oder einen 45-minütigen Inlandsflug in einer winzigen Propellermaschine. Allein die Anreise ist also schonmal nichts für schwache Nerven. Die Hostels vor Ort sind sehr einfach. Nachts zittert man, wenn man Pech hat, bei Minusgraden unter seiner dünnen Bettdecke und eine einfache heiße Suppe ist plötzlich das Größte.

Allerdings lohnen sich alle Unannehmlichkeiten, denn die Landschaft ist atemberaubend.

So saß ich eines Abends zufrieden dort und genoss den Blick auf die schneebedeckten Gipfel. Irgendwann kamen drei Männer, so Ende 30, zur Tür hinein und nahmen am Nebentisch Platz. Alle trugen die gleiche Allwetterjacke mit Fellkragen – in grau, grün und knallpink. Deutsche! Sie schienen nicht besonders guter Laune zu sein, denn immer wieder hörte ich die Worte "scheiße" und "arschkalt". Neugierig spitzte ich die Ohren:

"I hob seit gestern leichten Schüddelfroscht", beklagte sich die grüne Funktionsjacke. "Meint ihr, I soll noch mal `ne halbe Aschpirin Komplex einwerfen?" Mit wehleidigem Blick betastete er seine Stirn. "Malte, kannscht mal fühlen, ob i Temperatur hob?" Aber Malte, der Typ in der grauen Jacke, ignorierte seine Aufforderung.

"Konn net. Meine Fingerspitzen sinn halb abgefroren. I kann nimma mehr wotschappen …"

Henriette Hell wurde 1985 geboren und arbeitet als Journalistin/Autorin in Hamburg und unterwegs auf ihren Reisen rund um den Globus. Ihr Buch "Achtung, ich komme! In 80 Orgasmen um die Welt" ist 2015 erschienen und wurde prompt zum Bestseller. 2017 folgte "Erst kommen, dann gehen – Die Sexbibel fürs 21. Jahrhundert". Henriette schreibt gerne, ehrlich und lässig über Sex, weil sie findet, dass das viel zu wenig Leute tun.

Der dritte im Bunde, Mr. Pink, schien enttäuscht zu sein. "Hach, isch wollt so gern noch den Sonnenuntergang sehen, drüben, vom Felsvorsprung aus", schwäbelte er. "Kommt einer mit?"

"Ausgeschlossen. Ich bin bleib drinnen." Die grüne Funktionsjacke verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. "Ist doch jetzt eh überall schattig."

Malte hatte derweil andere Sorgen. "Soll i mol fragen, ob die unsch heute Nacht noch einen Extra-Heizstrahler ins Zimmer stellen? I hob echt keine Lust darauf, dass einer von euch wieder zu mir ins Bett gekrabbelt kommt."

"Sorry, nochmal", sagte die grüne Funktionsjacke und errötete leicht. "Aber I hott gestern Nacht wirklich das Gefühl zu erfrieren."

"Escht, wenn i des g’wusst hätt, dass das hier in Indien so schweinekalte ist", jammerte Malte. "Da wäre ich lieber wieder mit euch nach St. Peter-Ording zum Kiten, wie sonst."

"Kiten ist gut. Du liegscht doch immer nur am Strand und stellschst dir ein Bier nachm annan rein."

"Wollen wir wenigstens noch kurz a Selfie machen, bevor wir ins Bett gehen?", fragte Mr. Pink hoffnungsvoll. "Für Inschtagramm."

"Wen?", fragt die grüne Jacke leicht weinerlich.

"Mensch, lebscht hinterm Mond oder wie? Insch-ta-gramm. Sowas wie Fäischbook. Mit reddoschierde Foddos halt."

So langsam schien beim grünen Funktions-Burschen der Groschen zu fallen.

"Ja, wadde", sagte er und kramte sein iPhone X hervor. "Des konn i ja auch gut für Tinder nutzen, dann. Höhö. Finden die Weiber beschdimmt geil." Nun blitzten sogar die Augen von der grünen Jacke interessiert auf. Sein Fieberwahn schien kurz vergessen. "Ja, los, mit den Bergen im Hinnagrund. Und de Trekkingschdöcksche!" "Die wir bisher noch nicht einmal benutzt haben …", presste Malte zerknirscht hervor.

Die drei ballten nun ihre Hände zu Fäusten und setzen ihr jeweils breitesten Grinsen auf. Es blitzte Dutzende Male.

"Uhh-huuu", grölte Mr. Pink.

"Wieso schreist `n jetzt so?", seufzte die grüne Funktionsjacke genervt. "Auch noch genau in mein zues Ohr ..."

"Nu schdell dich nich so an", antwortete Mr. Pink beleidigt. "Isch wollde doch nur, dass es auf dem Foto wirklich so aussieht, als hätten wir Spaß." Er sah nun sehr traurig aus.

"So", sagte Grün-Jacke. "Isch geh jetzt pennen. Kommt ihr mit? Es dämmert schon und ich würde ungern den ganzen Weg zum Hotel allein im Dunkeln zurückgehen."

"Das Hotel ist doch direkt gegenüber", bemerkte Mr. Pink und verdrehte die Augen.

"Warte noch kurz – welcher Hashtag?", fragte Malte.

Die grüne Funktionsjacke verstand wieder nur Bahnhof.

Mr. Pink war besser auf zack: #adrenalinjunkies, #männertrip, #hardcoretrekking, #himalaya #adventureofourlife

"Aber morgen dann wirklich!", sagte Malte schmollend.

"Naja, mal sehen wie ich mich dann fühle und ob es nicht wieder so frisch draußen ist", grummelte Grün-Jacke. Einstimmiges Nicken.

Die Jungs bezahlten ihren heißen Kakao, schnappten sich ihre "Trekkinschtöcksche" und "trekkten" damit zurück zu ihrem Hotel auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Und ich überlegte noch sehr, sehr lange, welchen von ihnen ich denn nun am heißesten fand.

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